E-Mobilität

Das Autoteil formerly known as Kühlergrill

Produkte, egal ob digitale oder welche zum Anfassen, verraten dem aufmerksamen Beobachter Form und Funktion – wenn sie denn diese haben und nicht Kunst sind. Auch wenn es ein so profanes Produkt wie ein Kühlergrill ist.

So lassen sich Funktionen auf die Anforderungen und die Nutzerbedürfnisse, die am Anfang der Produktentwicklung herausgefunden wurden, zurückführen. (Der Einfachheit halber gehen wir mal davon aus, dass es immer harte Anforderungen sind oder Jobs, die Kunden erledigen wollen.) Dieses Reverse Engineering mache ich in meinem Job auch – warum gibt es diese Funktion bei der Konkurrenz? Kandidat*innen oder Interessent*innen fürs Produktmanagement stelle ich auch gern solche Fragen.

Heute soll es mal um bis dato harte Anforderungen gehen, die plötzlich durch einen Technologiewechsel schlagartig überholt sind. Wie bei Kombiprojekt üblich, geht es dabei um Mobilität auf vier Rädern. Und genauer: die Gestaltung des Anfangs eines Autos.

Woraus besteht der Kühlergrill?

Die Frontpartie eines Autos besteht aus mehreren, gut von einander unterscheidbaren Bestandteilen mit bestimmten Funktionen

  • die Reifen 
  • die Beleuchtung
  • den Lufteinlass für den Verbrennungsmotor
  • die Glasscheibe gegen Wind und Tiere

Eigentlich völlig ohne technische Funktion befinden sich auch noch folgende 

  • die Markeninsignien

(Was mir gerade aufgefallen ist: Die allermeisten Fahrzeuge machen das achsensymmetrisch. Bis aufs Lenkrad, das man hinter der Frontscheibe erahnen kann, ist alles längst einer Hochachse gespiegelt.)

BMW ist hier noch ein Sonderfall, weil der Lufteinlass zu einem der Markeninsignien geworden ist. Deswegen lasse ich BMW erst mal aus dieser Betrachtung heraus.

Obsolet: der Lufteinlass

Die elektrische Revolution stellt jetzt den Lufteinlass für den Verbrennungsmotor auf den Prüfstand. Er ist einfach nicht mehr notwendig bei Elektroautos. Wo keine Verbrennung stattfindet, muss auch kein Sauerstoff in der Atmosphären-Mische zugeführt werden. Damit ergeben sich neue Gestaltungsmöglichkeiten für den Autobug.

Die ersten Modelle haben einfach eine geschlossene Blende anstatt der gelochten Front verwendet. Das Lochblech oder besser den Lochkunststoff einfach durch plane Plastikflächen zu ersetzen – das sind wohl nur erste Schritte auf diesem spannenden neuen Designweg.

Der Mini von BMW ist auch in einer minimal angepasst Variante unterwegs, als Mini Electric. Da werden Linien aus der Trennung zwischen Fronthaube und Stoßstange aufgegriffen und verdoppelt, ein unnötiger Luftschlitz aufgedeutet – ein Potemkin’scher Kühlergrill, möchte man meinen.

Manchmal, bei älteren Modellen, findet man noch ein dreckig-gelbes E auf der Frontpartie. Wenn man im aktuellen Pressematerial nach einem Bild für die IAA sucht, findet man vor allem die SE-Variante – ein vollelektrischer Mini. Da ist der Schlitz voll aufgefüllt mit Hochglanzkunststoff, der auch am Wohnzimmer-Fernseher gut aussehen würde. Der aktuelle elektrische Mini heißt SE, so wie das größenverhältnismäßig zum Mini passende iPhone. (XS Max or 12 Pro Max XXL zum X7 dann.)

Ähnlich billig sieht die Lösung beim Hyundai Kona aus, den es als röhrenden Benziner (gerade als Mietwagen gefahren) oder als schnurrenden Elektro. (Worte wie Stromer versuche ich zu vermeiden. Der einzige Stromer, den ich kenne, war ein wuscheliger Hund in meiner Fernsehkindheit.)

Klassischer Plastiklook: Kühlergrill mit flach gedrückter Wabenoptik

In Wagenfarbe lackiertes Plastik. Und etwas auf die rechte Seite versetzt (oder links in Fahrtrichtung) der mit einem Schuko-Steckersymbol versehene Deckel für den Stromkabeleingang. Das ist so einfallsreich wie das Diskettensymbol beim Speichern in alten Softwareprodukten.

Tesla: kein Kühlergrill

Wie sieht es bei von Grund auf sauber als Elektrofahrzeugen konzipierten Autos aus? Tesla hat den vom Lufteingang umschlossenen Raum elegant wegdesignt. Die Haube vom Frunk geht beim Tesla S einfach weiter runter, und trifft auf ein Stück von unten – das aus der Stoßstange abgeleitet scheint. Das atmet Ford und Jaguar, aber es ist gestaltet. Beim Model 3 ist das Ganze wie eine flachere Interpretation des 911ers gehalten. Flach, ein Schwung – gut für den Luftstrom ums Fahrzeug rum.  Model X und Y verhalten sich entsprechend.

Aber von Hyundai kommt jetzt mit dem neuen Ioniq 5 ein Auto, das wirklich die Chance hat, (nicht nur ionisch, wegen Ladung, verstehste?, sondern auch) ikonisch zu werden. Die Keilform, wie eine Katze auf dem Sprung.

Und auch die Frontpartie hat mich wachgerüttelt. Das ist brutal und gleichzeitig minimalistisch. Nix im Vergleich zum Hinterteil, das einen eigenen Post verdient. Aber eben – klare Linien, moderne Technik mit den LED-Scheinwerfern. Das ist ein bisschen Golf 1 und 2, und vielleicht auch Scirocco oder Kadett, was ich da als Zitat sehe. Und den Kühler wieder auf ein vertretbares Maß reduziert. Einfach als umbauten Leerraum gelassen.

Ein Kühlergrill als Spielfläche für Markeninsignien

Auch der neue Stern am Elektrohimmel aus Stuttgart, der viel zu oft in der Autopresse und Blogs und YouTube beschriebene Mercedes EQS, geht neue Wege – dort hat man im Stile einer Louis-Vuitton-Handtasche Sterne wie Geschenkpapier auf der Fläche platziert, die früher mal ein Kühlergrill war. Der Hersteller nennt das das Mercedes-Benz-Pattern. Im Vergleich zu den klaren Linien, etwa bei der Dachpartie, ist das ein Verkleistern und Verkitschen, finde ich.

Auch ein neuer Weg, wenn er mich noch nicht so ganz überzeugt. aber bei der Gestaltung der neuen Elektromodelle sind wir noch im frühen Aufwärtsschwung der S-Kurve jeder neuen Technologie.

EQS 580 4MATIC (Stromverbrauch kombiniert (NEFZ): 19,6-17,6 kWh/100 km; CO2-Emissionen: 0 g/km); Exterieur: Edition 1, high tech silber/obsidianschwarz; Interieur: Leder nappa grau;Stromverbrauch kombiniert (NEFZ): 19,6-17,6 kWh/100 km; CO2-Emissionen: 0 g/km* EQS 580 4MATIC (combined electrical consumption (NEDC): 19.6-17.6 kWh/100 km; CO2 emissions: 0 g/km); exterior: Edition 1, high tech silver/obsidian black; interior: leather nappa grey;Combined electrical consumption (NEDC): 19.6-17.6 kWh/100 km; CO2 emissions: 0 g/km*

TL;DR

Fassen wir zusammen: Elektroautos brauchen keinen Lufteinlass mehr. Das ergibt Spielraum für die neue Gestaltung der Frontpartie der Autos. Die ersten Versuche: drüber pflastern – oder ignorieren, oder etwas ganz Neues, nie Dagewesenes probieren. Spannende Zeiten!

















1 Kommentar zu “Das Autoteil formerly known as Kühlergrill

  1. Pingback: Die Evolution der EQ-Front - Kombiprojekt

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